Die Legende vom Generationenkonflikt

 

Das Geschehen in der Finanzwirtschaft und dessen Konsequenzen für die Realwirtschaft sind Kernthema des Buches "Geld arbeitet nicht". Das Buch belegt, dass im Kapitalmarkt weder Werte geschaffen, noch vernichtet werden. Die Summe der in der Finanzwirtschaft gehorteten Finanzanlagen wird nur durch Zufuhr von Geld aus der Realwirtschaft erhöht. Nur durch einen ständigen Zufluss neuer Gelder kann die Illusion einer Wertsteigerung in der Finanzwirtschaft aufrechterhalten werden. Rentenbeiträge sind eine sehr verlockende Quelle. Deshalb ist die Privatisierung der Altersvorsorge ein zentrales Anliegen der Finanzwirtschaft. Es geht um einen gigantischen Markt mit lukrativen Gewinnmargen. Entsprechend intensiv werden Politik und öffentliche Meinung bearbeitet.

 

Politiker und Publizisten schüren mit unverantwortlicher Polemik einen Generationenkonflikt. Der ehemalige Bundespräsident Herzog am 10. April 2008 zu BILD: „Ich fürchte, wir sehen gerade die Vorboten einer Rentner-Demokratie: Die Älteren werden immer mehr, und alle Parteien nehmen überproportional Rücksicht auf sie. Das könnte am Ende in die Richtung gehen, dass die Älteren die Jüngeren ausplündern.“

 

Der Ex-Grüne Oswald Metzger behauptet: „Wir bekommen einen Generationenkrieg, wenn die Politik weiterhin aus wahltaktischen Gründen Geschenke verteilt. Denn: Die Rentenerhöhung, bescheiden genug, müssen Kinder und Enkelkinder über ihre Sozialbeiträge bezahlen!"

 

Diese Äußerungen reihen sich ein in ein systematisch mit großem publizistischem Aufwand  betriebenes Bemühen, dass Vertrauen der Bevölkerung in die Umlagefinanzierung zu zerstören. Das von der Adenauer Regierung gewollte System der Umlagefinanzierung bei Renten- und Sozialsystemen soll durch Kapital gedeckte Finanzierungen ersetzt werden. Wenn es der Finanzwirtschaft gelingt, nur zehn Prozent der Beiträge für die Rentenversicherung in Investmentfonds umzuleiten, so entspräche dieses einem Kapitalzufluss von mehr als 23 Mrd. Euro pro Jahr. Die Verwaltung dieser Summe garantiert Honorare in Milliardenhöhe für die damit beglückten Fonds. Mit der Riesterente und der Rürup-Ren­te ist ein viel versprechender Anfang gemacht. Mehr als eine Milliarde Euro pro Jahr stellt der Staat hierfür zur Verfügung – finanziert von den abhängig Beschäftigten, auf deren Schultern die Hauptlast des Steueraufkommens liegt.

 

Auf Initiative der Adenauer Regierung wurde 1957 die Finanzierung der Renten per Umlage auf die Solidargemeinschaft der arbeitenden Bevölkerung übertragen. Die Arbeitnehmer-Renten wurden am jeweils aktuellen Lohnniveau ausgerichtet. Sie sollten jährlich den steigenden Bruttolöhnen angepasst werden. Dank der Dynamisierung der Renten erhielten diese eine neue Funktion: Sie dienten der Aufrechterhaltung des gewohnten Lebensstandards im Alter. Allerdings wurde noch ganz im Geiste der Bismarck’schen Rentenreformen von 1889 der Generationenvertrag auf eine Solidarität der Bedürftigen beschränkt. Der aus dem Kaiserreich stammende ständische Aufbau der Altersicherung blieb erhalten, Selbstständige, Beamte und höhere Angestellte blieben von der solidarischen Pflichtversicherung ausgenommen. Nur bis zur Höhe der staatlich festgesetzten Bemessungsgrenze sind Arbeitnehmer verpflichtet, in die Solidargemeinschaft einzuzahlen.

 

Die Umlage finanzierte Rente geriet in Deutschland in den 1970er Jahren unter Druck. Die hohen Arbeitslosenzahlen führten zu massiven Beitragsausfällen. 1978 wurde  mit dem 21. Rentenanpassungsgesetz die Rentenanpassung erstmalig von der Bruttolohnentwicklung abgekoppelt. Abweichend von der Lohnentwicklung wurden die Renten 1979 nur um 4,5 Prozent sowie 1980 und 1981 nur um je 4 Prozent erhöht. Mit der "Rentenreform 1992" wurde die Rentenanpassung dann auf die Entwicklung der Nettolöhne bezogen. 1998 beschloss die rot-grüne Bundesregierung, die Nettolohnanpassung für die Jahre 2000 und 2001 auszusetzen und die Renten nur noch entsprechend der allgemeinen Preissteigerungsrate zu erhöhen. 2001 beschloss der Bundestag den Aufbau einer Kapital gedeckten, freiwilligen privaten Zusatzrente für Arbeitnehmer, die vom Staat gefördert wird (Riester Rente). 2005 wurde für die Zielgruppe  der Selbstständigen mit einer relativ hohen Steuerbelastung eine weitere staatlich subventionierte, Kapital gedeckte Zusatzrente eingeführt (Rürup-Ren­te). Im März 2007 setzte der Bundestag mit den Stimmen der großen Koalition die Heraufsetzung der Altersgrenzen bei der Rente von 65 auf 67 Jahre fest. Politiker von CDU und SPD schließen nicht aus, dass eine weitere Anhebung des Renteneintrittsalters auf 70 Jahre erfolgen wird.

 

Entgegen allen Wehklagen über ständig steigende Rentenbeiträge sind die Rentenbeitragszahlungen und die Rentenzahlungen in den vergangenen Jahrzehnten relativ stabil geblieben. Die Rentenausgaben haben von den späten 1970er Jahren bis zur Wiedervereinigung mit kleinen Schwankungen acht bis neun Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) betragen. In den 1990er Jahren stieg die Rentenquote auf zehn bis elf Prozent des BIP, 2005 betrug sie 10,5 Prozent. Der Beitragsatz zur gesetzlichen Rentenversicherung lag von Mitte der 1970er Jahre bis Beginn der 1990er Jahre bei etwa 16 Prozent des jeweiligen Bruttoeinkommens. Nach der Wiedervereinigung stieg er auf bis zu 20 Prozent. In 2005 betrug er 19,5 Prozent.

 

Die Probleme der solidarisch über Umlage finanzierten Rente resultieren aus schwindenden Einnahmen, nicht aus großzügigen Steigerungen der Renten. Je höher die Quote an Arbeitslosen und Geringverdienern ist, desto geringer ist das Beitragsaufkommen. Der Effekt steigender Arbeitslosenzahlen wird verstärkt durch geringe Lohnsteigerungen und Arbeitszeitverlängerungen ohne Lohnausgleich. Wie kaum ein anderes Land auf der Welt hat Deutschland die Finanzierung des Wohlfahrtsstaates an den Faktor Arbeit gekoppelt. Verlierer sind die abhängig Beschäftigten, sie müssen das Sozialsystem finanzieren. Gutverdienende Bevölkerungsgruppen, Unternehmen und Bezieher von Kapitaleinkommen sind vom Solidarprinzip weitgehend ausgenommen. Die Lasten werden auf immer weniger abhängig Beschäftigte verteilt.

 

Das zentrale Argument gegen die Umlagefinanzierung ist die „Überalterung der Gesellschaft.“ Mit dem Schreckensbild einer vergreisten Gesellschaft, in der faule und bequeme Rentner es sich auf Kosten überforderter junger Beitragszahler gut gehen lassen, wird der Generationenvertrag verteufelt und ein Generationenkonflikt geschürt. Wissenschaftler, welche auch als Werbeträger für Finanzdienstleister und Versicherungsgesellschaften auftreten -  Raffel­hüschen, Rürup, Miegel, Sinn - produzieren „wissenschaftliche Studien“, welche von Lobbyorganisationen wie der „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ und anderen in die Medien lanciert wer­den. Begriffe wie „Alterslast, „Rentnerberg“ oder „Rentnerschwemme“ werden propagiert. Es werden „Altenquotienten“ generiert, um die Dramatik der Entwicklung „wissenschaftlich“ zu untermauern. Mit dem „Altenquotienten“ wird die Anzahl der Menschen, die älter als 65 sind, ins Verhältnis gesetzt zu den Menschen im Arbeitsalter von 20 bis 65 Jahren. Für dieses Verhältnis wird prognostiziert, dass es von heute etwa drei zu eins auf 1,5 zu eins im Jahr 2030 sinken wird. Damit wird suggeriert, dass ein Erwerbstätiger die Rente für 1,5 Rentner aufbringen muss. Aus den demografischen Veränderungen soll ein Sachzwang konstruiert werden, der als einzig vernünftige Lösung die Umstellung auf eine Kapital gedeckte Rente zulässt.

 

Das von der Finanzindustrie inszenierte Krisenszenario beruht auf falschen Prämissen. Das Verhältnis von Jungen zu Rentnern hat für die Frage, wie die Renten finanziert werden können und wie hoch diese sein sollen, keinerlei Bedeutung. Wie sinnlos demografische Betrachtungen sind, dokumentiert die Deutsche Rentenversicherung mit ihrer Publikation „Rentenversicherung in Zeitreihen 2006“.  Im Jahr 2004 bezogen in Deutschland 24,3 Millionen Menschen eine Rente. 33,2 Millionen waren pflichtversichert, aber nur 25,8 Millionen versicherungspflichtig Beschäftigte zahlten tatsächlich Beiträge. Das Verhältnis von Beitragszahlern zu Rentenempfängern lag damit in 2004 bei 1,06 zu eins. Das Verhältnis von Beitragszahlern zu Versicherten lag bei eins zu 1,29. Doch damit nicht genug. Die Beitragszahler finanzierten gleichzeitig mit ihren Krankenkassenbeiträgen auch noch die Krankenversicherung von 16,4 Millionen Kindern und Jugendlichen unter 20 Jahre. Die Erwerbstätigen finanzieren sowohl die Rentner als auch die Heranwachsenden.

 

Mit demografischen Kenngrößen ist die Wirklichkeit des deutschen Renten- und Sozialsystems nicht zu erfassen. Einzig entscheidend ist, wie viele Menschen an der wirtschaftlichen Wertschöpfung beteiligt werden und wie die Wertschöpfung auf die Beteiligten verteilt wird. Bei der Rentendebatte geht es im Kern um Verteilungsgerechtigkeit, nicht um demografische Probleme. Welche Personengruppen sollen an der wirtschaftlichen Wertschöpfung und der Verteilung des Wohlstandes wie beteiligt werden? Doch statt sich dieser Frage zu stellen, schüren die etablierten Parteien mit breiter Unterstützung der Medien einen unverantwortlichen Generationenkonflikt.

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Hinweis:

zum Thema "Generationenkonflikt" hat das ARD Magazin Plusminus einen interessanten Beitrag gesendet

Wer schürt den Streit zwischen alt und jung?