DyStar beantragt Insolvenz

1995 haben Bayer und Hoechst ihre Farbensparten in einem gemeinsamen joint-venture mit dem Namen DyStar zusammengelegt. 2000 brachte die BASF ihre Textilfarben Sparte in DyStar ein. 2004 verkauften Bayer, Hoechst und BASF das Unternehmen steuerfrei an den amerikanischen Private Equity Fonds Platinum Equity. Seither musste das Unternehmen hohe  Finanzschulden bedienen. Ertragsteuern zahlte das Unternehmen nicht mehr. Das Management wurde mehrfach ausgewechselt, Rationalisierungen führten zu einem kontinuierlichen Abbau von Arbeitsplätzen auch am Standort Leverkusen, 2004 waren es 900 Arbeitsplätze, Ende 2007 noch knapp 500, im Herbst 2009 beschäftigte DyStar in Leverkusen weniger als 400 Mitarbeiter. Am 28. September 2009 stellte DyStar den Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens. Das Unternehmen ist zahlungsunfähig. Rund 3000 Mitarbeiter in elf Ländern müssen um ihre Arbeitsplätze bangen.

 

Zeitgleich mit dem Insolvenzantrag seiner ehemaligen Farbensparte startete der Bayer Konzern eine neue Imagekampagne unter dem Motto „Wir stehen zu unseren Wurzeln.“ Die Wurzel  der chemischen Industrie war die Farbenchemie. Aus ihr sind alle anderen Tätigkeitsfelder hervorgegangen. Auf Basis von chemischen Technologien haben die deutschen Chemieunternehmen in ihrer Geschichte durch intensive Forschung ein breites Spektrum von Geschäftsfeldern erschlossen. Aus Farbstoffherstellern sind breit diversifizierte Konzerne entstanden mit Geschäftsaktivitäten in Chemikalien, Kunststoffen, Pharmazeutika und vielen anderen Produktbereichen. In den 1990er Jahren haben Finanzanalysten begonnen, Firmen darauf zu drängen, sich von allen Geschäften zu trennen, welche nicht zum „Kerngeschäft“ gehören. Konglomerate nach Art der Chemieunternehmen waren in der Gunst von Investoren nicht länger opportun. Die drei großen deutschen Chemiekonzerne Bayer, BASF und Hoechst begannen, sich von einzelnen Geschäftsbereichen zu trennen. Die Hoechst AG richtete sich am konsequentesten an den Anforderungen des Kapitalmarktes aus.

 

Private Equity Fonds – besser bekannt als „Heuschrecken“ – haben in der Chemischen Industrie einen reichhaltig gedeckten Tisch vorgefunden. Übernommene Unternehmen werden hemmungslos ausgeschlachtet. Die Politik unterstützt die Heuschrecken hierbei tatkräftig. Leidtragende dieser Aktivitäten sind die Mitarbeiter der Unternehmen, denen man die Arbeitsplätze raubt und die Kommunen, denen die Steuereinnahmen wegbrechen. Exemplarischer Beleg hierfür ist die Stadt Leverkusen. Zahlreiche dort ansässige Unternehmen sind Opfer von Finanzinvestoren geworden: DyStar, TMD Friction, Agfaphoto, Woolworth oder Wehmeyer. Auch die ehemalige Bayer Tochter Tanatex leidet unter den Schulden aus der Übernahme durch den Finanzinvestor Egeria und muss massiv Arbeitsplätze vernichten. Weitere in Leverkusen tätige Unternehmen befinden sich ebenfalls im Besitz von Finanzinvestoren: u. a. Momentive Performance Material, Carcoustics, NoVaSep, Strauss Innovation, ATU. Deren Finanzschulden senken die Steuereinnahmen der Stadt.

 

Die Insolvenz von Dystar ist ein weiterer Beleg für die bedingungslose Unterordnung von Wirtschaft und Gesellschaft unter ein entfesseltes Finanzcasino. Die Politik hat parteiübergreifend die Geschäftspraktiken der Heuschrecken durch entsprechende Gesetzgebung gefördert. Von zentraler Bedeutung ist dabei die Steuerreform 2000, welche federführend vom Finanzstaatsekretär Zitzelsberger vorangetrieben wurde. Zitzelsberger war vor seinem Eintritt in die rot-grüne Bundesregierung Leiter der Steuerabteilung der Bayer AG. Seither müssen Kapitalgesellschaften wie die Bayer AG Einnahmen aus dem Verkauf von Unternehmenseinheiten nicht mehr versteuern. Sollte das Wahlprogramm der FDP in Regierungspolitik der schwarz-gelben Bundesregierung umgesetzt werden, wird es zu weiteren Steuererleichterungen für die Finanzwirtschaft kommen, welche den Haushalt von Kommunen und Öffentlicher Hand zusätzlich belasten.

 

Die Steuerreform 2000 hat ebenso wie viele andere Steuererleichterungen für die Finanzwirtschaft entscheidend dazu beigetragen, dass Leverkusen „Vom Kraftprotz zum Pflegefall“ verkommen ist – so der Titel eines Berichts im Leverkusener Stadtanzeiger. Bis zum Jahr 2000 hat sich die Stadt jedes Jahr über sprudelnde Steuerzahlungen „seines“ Chemie-Werkes freuen dürfen. Hatte die Stadt in 2000 noch Gewerbesteuer von 100,8 Mio. Euro eingenommen, so waren es nach Ausfall der Bayer Zahlungen in 2001 nur noch 36,4 Mio. Euro. Von diesem Einbruch der Einnahmen hat sich die Stadt bisher nicht wieder erholt. Die Gewerbesteuereinnahmen verharren auf dem Niveau der frühen 1970er Jahre. 2006 hat die Stadt ihre finanzielle Misere mit einem vom Stadtrat beschlossenen Steuerverzicht von 100 Mio Euro zu Gunsten von Finanzinvestoren der TMD Friction  weiter verschärft. Trotz massiver Einsparungen bei allen städtischen Ausgaben wird auf absehbare Zeit kein ausgeglichener Haushalt der Stadt möglich sein. Die Haushaltsplanungen der Stadt unterliegen dem Nothaushaltsrecht. Die Bezirksregierung in Köln gibt harte Einsparvorgaben vor, welche die  Stadt einzuhalten hat.

 

Die Folgen einer ausschließlich an den Interessen der Finanzwirtschaft ausgerichteten Politik sind in der Stadt Leverkusen nicht mehr zu übersehen. „Ganz allmählich droht ein sozialpolitischer Erosionsprozess“,umschreibt Leverkusens Sozialdezernent Frank Stein das langsame Abrutschen ganzer Stadtteile zu sozialen Brennpunkten. „Der Substanzverlust ist in der gesamten Stadt mit Händen greifbar.“ berichtet der Leverkusener Stadtanzeiger: „Die Stadt kann kaum noch unterhalten, was sie sich in guten Jahren geleistet hat. Das gerade einmal 30 Jahre alte Rathaus steht inzwischen leer. Eine teure Sanierung wurde von einem erfolgreichen Volksbegehren gegen die Pläne des Stadtrats verhindert. Nun soll ein privater Investor die Ruine schleifen und am gleichen Ort für 125 Millionen Euro ein Einkaufszentrum errichten, in dem sich auch Rat und Stadtverwaltung mit einigen zentralen Einrichtungen einmieten können. ... Bemühungen, die Stadt zu einem Biotechnologie-Standort auszubauen, schlugen fehl. Als die Wirtschaftsförderung ihren 7,5 Millionen-Biotech-Komplex einweihte, hatte sie keinen Quadratmeter an die Branche vermietet. Heute belegt das Job-Center der ehemaligen Bayer Tochter Lanxess einen Teil des Baus. Hier versucht Bayers Chemie-Abspaltung die Arbeitskräfte zu vermitteln, die nicht mehr gebraucht werden.“

 

Der im September 2009 abgewählte Oberbürgermeister der Stadt, Ernst Küchler (SPD) bestreitet jeden Zusammenhang zwischen dem Niedergang seiner Stadt und den Steuerreformen der Schröder Regierung, denen er als Abgeordneter in Berlin  seine Zustimmung gegeben hatte. Wer hier einen Zusammenhang konstruiert, verbreite „groben Unfug.“ Mit im Bundestag erprobten Sprechblasen beschreibt Küchler die aus seiner Sicht eigentlichen Ursachen:

 

„Strukturwandel pur, neue Strukturen, technologische Innovationen und in der Folge weit reichende Rationalisierungsprozesse. Die Globalisierung, die internationale Arbeitsteilung, sie haben in dieser Stadt nachhaltige Spuren hinterlassen. Die Märkte der Güter und Finanzen, die Arbeitsmärkte allemal, sie haben sich grundlegend verändert, und diese Veränderungen sind in Leverkusen angekommen. Sie zwingen oder veranlassen, wie immer Sie es werten wollen, die Unternehmen zu handeln, sich anzupassen, sich neu zu positionieren, global, international und lokal und sie zwingen uns oftmals rat- und machtlos zuzusehen oder angemessen zu reagieren.“